Prof. Dr. Jan Cejka
zum künstlerischen Werk von Raimund A. Beckmann
Ich habe Herrn Prof. Raimund Beckmann als Kollegen an der FH Münster kennengelernt. Durch verschiedene gemeinsame architektonische und sonstige Aktivitäten entstand nicht nur eine langjährige Bekanntschaft, sondern auch eine richtige Freundschaft. Ich wusste wohl, dass er auch künstlerisch tätig war und sich in verschiedene Richtungen versuchte. Die Arbeiten jedoch, die er in diesem Frühjahr geschaffen hat, waren auf einmal so neu, so eigenständig und reif, dass es nicht nur mich zum Staunen brachte. Und das in seinem doch ziemlich fortgeschrittenen Alter!
Für die Beurteilung eines Kunstwerks gibt es für mich ganz einfache Gesichtspunkte:
- Ist es eigenständig?
- Ist es etwas, was mich anspricht?
- Ist es etwas, das man sich merken kann?
Die neuen abstrakten Arbeiten von Prof. Beckmann haben all diese Qualitäten. Selbstverständlich kennt man mehrere Künstler, die sich mit abstrakten Geometrien schon früher beschäftigt hatten. Man braucht nur an Bauhaus, Piet Mondrian und die „De Stijl“ Bewegung in den Niederlanden oder an die russischen Konstruktivisten zu erinnern. Aber das, was man hier sieht ist sehr originär, unverwechselbar und einprägsam. Man kann es einfach nicht vergessen. Wenn der Betrachter wieder etwas von dieser Art zu sehen bekäme, dann würde er gleich sagen: „Ach, das kann nur ein Raimund Beckmann sein!“.
Wie man weiß, hat die jeweilige Biographie immer Einfluss auf die künstlerische Tätigkeit. Wir beide haben in der Nachkriegszeit Architektur studiert und dabei auch die damals wieder aktuell gewordene moderne Kunst verinnerlicht. Die der Architektur innewohnende Geometrie hat bei uns auch die Begeisterung für die schon genannten abstrakt-geometrisch arbeitenden Künstler und Bewegungen erweckt. Dieses Reservoir von Eindrücken und Formen, das irgendwo im Gehirn verborgen blieb, hat wohl auch dazu geführt, dass sich Herr Prof. Beckmann nach der aktiven Architekturtätigkeit wieder intensiv mit der geometrischen Abstraktion zu beschäftigen begann.
Zu den ausgestellten Arbeiten:
Der Betrachter ahnt gleich, dass hinter den klaren geometrischen Formen irgendeine rationale Konstruktion steckt. Und in der Tat. Die Proportionen der Figuren, aus denen sich die „Bilder“ zusammensetzen, basieren auf einer Zahlenreihe, die Prof. Beckmann zu diesem Zweck entwickelt hatte.
Man kennt ja aus der Kunstgeschichte viele mathematische Regeln – den goldenen Schnitt, das Modulor von Le Corbusier, die Proportionen des menschlichen Körpers in der bekannten Zeichnung von Leonardo da Vinci, die Fibonacci-Reihe etc. Es wurde zu weit führen, die Beckmann-Reihe mathematisch aufzudröseln. Es muss jedoch erwähnt werden, dass er feststellen musste, dass schon vor ihm ein Niederländer – Dom Hans van der Laan (1904-91) – bei seinen Studien über die drei-dimensionalen Proportionen in der Architektur die „plastische Zahl“ als Lösung der Gleichung x³ = x+1 entdeckt hatte : Diese Zahl ( 1,324717957244746 ) hat Raimund Beckmann auf anderem Wege – abweichend vom „goldenen Schnitt“ – über seine Forderung : A verhalte sich zu B wie B zu C wie C zu A+B erhalten und mit einer frei gewählten Grundzahl zur persönlichen Zahlenreihe bestimmt.
Von dieser Reihe leitet er nicht nur die Längen- und Breitenverhältnisse der Elemente, sondern auch die Richtungen und Begrenzungen seiner Konstruktionen ab.
Bei der Farbgebung geht es hier um Kontraste kräftiger Farbtöne der klar abgegrenzten Felder, die manchmal auch eine symbolische Bedeutung bekommen. Trotz der kräftigen Kontraste herrscht in den Kompositionen eine Harmonie. Man könnte dabei fragen, wie können die grellen Kontraste von Schwarz, Rot, Grau und Weiß oder Schwarz, Blau, Gelb und Weiß harmonieren? Es entsteht durch das kompositorische Ausbalancieren der Farbfelder am Ende doch eine Art aufgeregte Harmonie, mit dem Erfolg, dass die „Bilder“ zwar harmonisch, jedoch nie langweilig wirken.
Die handwerklichen Aspekte:
Die Vorgänger (wie z.B. Mondrian oder Albers) haben in der Regel die Farben mit dem Pinsel auf die Leinwand aufgetragen. Dadurch bedingt konnten die Begrenzungen der Farbfelder nicht hundertprozentig scharf werden, was man vor allem aus der Nähe beobachten konnte. Das war dem Beckmann wohl nicht sauber genug.
Er hat überlegt, wie man die Begrenzungen doch entschiedener machen könnte. Am besten schien ihm, die Farbfelder als physisch getrennte Elemente herzustellen und diese wie ein Puzzle zu einem rechtwinkligen Bild zusammen zu fügen. Aber wie produziert man solche Teile präzise genug? Herr Prof. Beckmann war schon immer ein praktischer „Macher“. Er wusste, dass man auf einer professionellen Säge im Baumarkt die saubersten Schnitte ausführen kann. Aber wie macht man Dreiecke oder Trapeze mit einer Säge, die nur senkrecht schneiden kann?
Hier hat er etwas entwickelt, worüber ich immer noch staune. Er hat auf eine quadratische oder rechteckige MDF-Platte eine andere, jedoch um einen bestimmten Winkel verdrehte Platte befestigt. Dann ließ er beide Platten gemeinsam durchschneiden, So konnte er auch präzise, parallele Schrägschnitte erzeugen. Die zerschnittene Grundplatte wurde entsorgt, aus der oberen entstanden die gewünschten Puzzle-Teile. Die wurden dann mit den entsprechenden Farben matt lackiert. So einfach geht es. Ich habe ihm empfohlen, sich das Verfahren patentieren zu lassen.
Wie dem auch sei. Es ist ein Zusammenspiel von rationalen Überlegungen (die mathematisch begründeten Proportionen) mit kreativen, ausgeklügelten Puzzle-Kompositionen und mit den Einflüssen der Herstellungstechnik, die zu den hier präsentierten Ergebnissen führten.
Trotz aller Rationalität ist es vor allem die Kreativität und Entdeckungslust des Verfassers, die dabei entscheidend bleibt.
Westerkappeln, 25. 08. 2019